Verdammnis oder Heilsgewissheit?
Heiko Kuschel
11. September 2010 - 23:40
Predigt beim mittelalterlichen Gottesdienst
Schweinfurt, 12.9.2010
Text: Römer 3, 21-28
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:
23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als aSühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher
26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Gute Menschen von Schweinfurt!
Habt ihr euch schon einmal am Feuer die Hand verbrannt? Ein einziger Finger, den euch die heiße Flamme versengt, quält euch die ganze Nacht.
Wie muss es erst sein, wenn euer ganzer Körper in Flammen steht? Nicht für eine schlaflose Nacht. Nicht für eine Woche, sondern für die Ewigkeit!
Könnt ihr ihm entrinnen, dem Feuer der Verdammnis, am Tage des Strafgerichts?
Euer Heiliger Vater in Rom schickt euch ein besonderes Geschenk, das euch vor solchen Flammen bewahren soll. Einen besonderen Ablass zum Bau der Kirche des Heiligen Petrus in Rom. Lege einen Stein für St. Petrus, und du legst einen Stein für dein eigenes Seelenheil. Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!
Aber aber, Meister Schmitt, haltet ein! So könnt Ihr doch nicht mehr predigen! Nicht seit Dr. Martinus Luther seine bahnbrechende Entdeckung über die Gerechtigkeit Gottes gemacht hat!
Ja, genau, Prediger Kuschel! Die Gerechtigkeit Gottes! Darum geht es doch. Gott ist ein gerechter Gott. Er straft alle gleich. Da gibt es kein Entrinnen. Wer auf dieser Erde gesündigt hat, den erwartet nach dem Tode die gerechte Strafe. Doch durch Jesus Christus hat er Petrus, seinem Stellvertreter, die Schlüssel zum Himmelreich gegeben. Er – und sein Nachfolger, der Papst – kann die zeitlichen Strafen erlassen. Darum bin ich hier, um diese frohe Botschaft weiterzugeben: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt! Und wer wäre nicht bereit, für sein ewiges Seelenheil ein wenig Geld zu investieren?
Nein nein, Ihr macht ja aus der frohen Botschaft eine Drohbotschaft. Ganz anders ist das gemeint mit der Gerechtigkeit Gottes. Dr. Martinus Luther hat es ganz anders übersetzt. Er schrieb: „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Und er meint: Gott hat uns schon längst gerecht gemacht. Gott hat uns sozusagen den Eintritt in den Himmel schon längst bezahlt.
Aber wo bleiben dann die Strafen für böse Taten?
Sind schon längst bezahlt. Für den, der an Jesus Christus glaubt.
Das heißt, wer an Jesus Christus glaubt, braucht gar nichts weiter zu tun?
Genau.
Das kann doch nicht sein. Wo bleibt das Strafgericht Gottes? Wo bleibt die Belohnung für die guten Taten im Leben und die Bestrafung für die schlechten Taten? Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, Gott wäre das egal?
Nein, Gott ist es gar nicht egal. Es ist ihm so wenig egal, dass er dafür seinen eigenen Sohn in die Welt gesandt hat. Der ist für uns gestorben. Für alle unsere schlechten Taten. Wir müssen nur eines tun: An ihn glauben. Hört, wie Dr. Martinus es übersetzt hat im Brief des Heiligen Paulus an die Römer, Kapitel 3.
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:
23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher
26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Habt Ihr es gehört, Meister Schmitt? Wir sollen uns nicht unserer guten Werke rühmen. Das Rühmen ist ausgeschlossen. Es bringt uns Gott nicht näher, dass wir gute Werke tun, denn gut genug für Gott ist keiner von uns. „sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,“ so schreibt es der heilige Paulus. Wir werden gerecht, das heißt: von Gott angenommen, ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Dieser Martinus Luther! Der bringt doch alles durcheinander. Die guten Werke sollen nichts mehr zählen? Ich bin mir sicher, in 500 Jahren singen sie dann „wir kommen alle, alle in den Himmel“. Das kann es doch auch nicht sein. Da wird doch alles ganz beliebig, wenn jede Sünde sowieso schon von vornherein wieder vergeben ist.
Nein, Meister Schmitt, das habt Ihr falsch verstanden. Ganz im Gegenteil, gar nichts ist beliebig. Denn das muss ich erst einmal ernst nehmen: Gott macht mich frei. Gott ist ein Gott der Liebe und nicht der Vergeltung. Er ist ein gnädiger Gott, kein Gott der Rache. Wer das wirklich begriffen hat, der wird von sich aus versuchen, ein gutes Leben zu führen. Der wird von sich aus gute Taten tun.
Genau. Gute Taten tun – und sich damit das Himmelreich erkaufen. So wie mit den Ablassbriefen.
Nein, nein! Am Anfang steht nicht die gute Tat. Am Anfang steht das Wort Gottes: Du bist geliebt von Gott. Dein Seelenheil ist bereits erkauft, teuer erkauft durch das Blut Christi. Doch wenn wir dieses Wort Gottes annehmen, dann verändert das unser ganzes Leben zum Guten.
Das, lieber Prediger Kuschel, halte ich doch für reichlich naiv. Die Leute werden doch nicht besser, nur weil sie sich von Gott geliebt fühlen. Nein, sie müssen geführt werden! Der große, gerechte und allmächtige Gott wird doch zu einem niedlichen „lieben Gott“, wenn wir das so locker sagen: Ihr seid frei.
Aber wir sind doch frei. Und diese Freiheit ist teuer erkauft, Meister Schmitt. Der Sohn Gottes ist dafür gestorben. Darum müssen wir sie auch ernst nehmen, diese Freiheit. Darum dürfen wir uns auch nicht vorschreiben lassen, wie unser Glaube auszusehen hat. Jede und jeder muss das für sich selbst herausfinden. Darum hat Dr. Martinus auch die Bibel übersetzt. Dann sind die Menschen nicht nur auf die Bilder in den Kirchen angewiesen und auf die Erzählungen der Pfarrer.
Ach, hört mir auf mit eurem Dr. Martinus und seiner Freiheit eines Christenmenschen! Ihr seht doch, wohin er uns gebracht hat. Unfriede überall. Durcheinander. Dreißig Jahre Krieg. Der mit seinem „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Ich glaube immer noch, dass die Menschen Sicherheit wollen. Dass sie einfachere Lösungen brauchen. Ein wenig Weihwasser oder ein Ablassbrief hilft da mehr als viele Diskussionen um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Kirche weiß schon, was gut für die Menschen ist. Wenigstens war es bisher so.
So kommen wir nie zusammen. Und ich glaube, dass unser Herr Jesus nicht gewollt hätte, dass er so gestückelt wird. Er wollte das Reich Gottes. Er wollte die Menschen zu Gott führen. Und was haben wir daraus gemacht? Da gebe ich Euch Recht: Streit, Krieg, Unterdrückung. Das kann nicht im Sinne Jesu sein.
Aber was wäre dann in seinem Sinn? Was können wir da zusammentragen, dass wir ihm nahekommen? Habt Ihr da etwas zu bieten?
Ja. Ich habe es schon gesagt: Wir Evangelischen glauben, dass es gut ist, wenn die Menschen etwas von ihrem Glauben verstehen. Darum hat Dr. Martinus die Bibel übersetzt. Er hat den Katechismus geschrieben. Und dazu viele Lieder, die vom Glauben erzählen. Wir legen Wert auf gute Predigten, aber auch darauf, dass die Gläubigen zu Hause die Bibel lesen und darüber reden. Viele von uns können große Stücke der Bibel auswendig. Ich bin mir sicher: Noch in Hunderten von Jahren wird Luthers Bibel die deutsche Sprache prägen. Auch wenn die Menschen dann bestimmt nicht mehr so viel auswendig können. Vielleicht noch den 23. Psalm, aber das ist ja auch schon mal etwas.
Wir Evangelischen wollen mündige Christen. Gläubige, die fröhlich und ohne Angst ihren Glauben frei bestimmen können. Und was habt Ihr zu bieten?
Naja. Dieselben Wurzeln haben wir ja. Aber bei uns sind die Traditionen und Rituale auch wichtig. Die Menschen brauchen nicht nur Worte, sondern auch Zeichen. Aber das ist nicht immer so einfach. Nehmen wir zum Beispiel den Weihrauch hier. Das ist etwas ganz Besonderes und zeigt, dass unser Beten und Streben zu Gott gelangt, wie der Weihrauch in den Himmel steigt. Aber ob das verstanden wird?
Ich würde mir wünschen, dass wir nicht so sehr gegeneinander gehen. Da war der Streit zwischen Martin Luther und den katholischen Predigern kein gutes Vorbild. Aber vielleicht hat es sein müssen, damit die Menschen merken, dass etwas nicht stimmt. Ich möchte mehr miteinander machen. Wir mit unserer Schrift, ihr mit Euren Zeichen. Das wäre doch was. Vielleicht bringt es die Zeit mit sich.
Langsam werdet Ihr mir richtig sympathisch. Aber ich bin sicher das geht nicht so einfach und dauert lange. Und da wird es sicher ganz viele wichtige und schlaue Leute geben, die Probleme sehen. Und die werden uns dann sagen, wer die richtige Kirche ist und wer nicht recht hat. Und manche werden sich fragen, wer eigentlich richtig feiert und wer nicht. Und dabei geht es doch nicht darum, sondern, dass wir unser Leben feiern, das in Gottes Hand ist.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Aber es wird noch lange dauern, bis wir diesen Weg wieder gemeinsam gehen können. Ich jedenfalls möchte daran mitarbeiten.
Gott gebe uns seinen Segen zu diesem Weg aufeinander zu. Amen.
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