Otherland - Fluss aus blauem Feuer
Nach Otherland 1 kommt natürlich, wer hätte das gedacht, Otherland 2. Exakt vor einem Monat habe ich die Rezension zum ersten Band geschrieben, heute bin ich durch den zweiten durch.
Es war für mich nicht immer ganz einfach, dabei zu bleiben und mich nicht einem anderen Buch zu widmen. Wobei das auch ein wenig unfair von mir ist, denn ich glaube, es lag eher an meiner Ungeduld als an der Erzählkunst von Tad Williams.
Der lässt seine Charaktere im zweiten Band von einer Simulation in die andere stolpern. Eine überdimensionierte Comic-Küche mit lebendem Geschirr, Gemüse und einem Streichholz als „Häuptling Starke Marke“. Eine irgendwie aus den Fugen geratene Welt des Zauberers von Oz. Venedig. Odysseus. Ich will inhaltlich nicht zu viel verraten, aber es sind wirklich eine ganze Reihe dieser Welten, die jeweils in großer Ausführlichkeit und Detailverliebtheit beschrieben werden. Jede dieser Welten ist irgendwie wichtig, denn jede verrät ein ganz kleines Stück des großen Geheimnisses, das immer drohender und bedrängender deutlich wird.
Tad Williams kann das wunderbar. Er hat eine große Gabe, Dinge und auch Personen nachvollziehbar und plastisch zu beschreiben. Die Charaktere handeln entsprechend ihrer Vorgeschichte, die nach und nach im Rückblick erzählt wird. Kein Einheitsbrei von lauter tapferen Heldinnen und Helden, sondern sehr unterschiedliche Denk-, ja sogar Sprechweisen, Motive, auch Erscheinungsformen. Und auch manches Rätsel, das eigentlich offen da liegt und trotzdem im Ungewissen gelassen wird: Wer ist der Verräter in der Gruppe? Was ist nun die Gralsgemeinschaft? Welche Rolle spielt der ominöse Mr Sellars?
Dazu kommt die geradezu prophetische Gabe von Tad Williams. Man muss sich das immer wieder klar machen, auf welchem Stand die Computertechnik damals war, als dieses Buch geschrieben wurde. Auch die sozialen Entwicklungen, die er in den verschiedensten Ecken der Welt beschreibt, sind durchaus plausibel und nachvollziehbar, machen vielleicht ein bisschen Angst vor der Zukunft, die da auf uns warten könnte.
Trotzdem finde ich: Ein bisschen weniger von allem wäre vielleicht mehr gewesen. Sicher gibt es andere, die genau diese überbordende Erzählkunst lieben. Denen es nichts ausmacht, wenn die Geschichte mal ein wenig auf der Stelle tritt, weil eben noch dieses und jenes Detail beschrieben werden muss. Tad Williams hat da sozusagen eine ganz eigene Entsprechung zu den seitenlangen poetischen Landschaftsbeschreibungen mancher anderer Bücher gefunden, die ich dort auch meist genervt überfliege. Ich fand das stellenweise nervig und anstrengend, wollte aber trotzdem wissen, wie die ganze Geschichte weitergeht. Manchmal musste ich mich regelrecht zwingen, weiterzulesen. Und bis kurz vor Schluss war ich fest entschlossen, den dritten Teil erst mal liegen zu lassen und wieder mal was anderes zu lesen. Aber auf den letzten vielleicht 100 Seiten wurde es dann wieder richtig spannend und packend. Und so finde ich mich auf einmal auf den ersten Seiten des dritten Bandes wieder, ohne das eigentlich gewollt zu haben ...
Weiter gilt, was ich schon im ersten Teil geschrieben habe: Das Taschenbuch ist anstrengend zu lesen, da sehr klein geschrieben. Das Hardcover ist dafür sehr schwer und dick. Eine E-Book-Version wäre in diesem Fall klasse, gibt es aber nur auf Englisch. In irgend einen sauren Apfel muss man also beißen.
Bis kurz vor Schluss war ich mir sicher, dass ich diesem Band wegen der genannten Längen höchstens drei Punkte geben möchte. Jetzt schwanke ich, ob es nicht doch vier sein sollen, denn die Erzählung ist eigentlich doch wirklich gut. Also gut, vier Kuschelpunkte.
Buchinformationen
Tad Williams: Otherland - Fluss aus blauem Feuer, Taschenbuch: 864 Seiten, Heyne Verlag ISBN: 978-3-4535-3216-8, 9,95 €
Gebundene Ausgabe: 781 Seiten, Klett-Cotta ISBN: 978-3-6089-3422-9, 26,95 €
Prophetie
Das hast Du gut ausgedrückt mit der prophetischen Gabe von Tad Williams. Das hat mich schon im ersten Band begeistert. Das Buch ist (im englischen Original) 1997 erschienen und ist absolut auf der Höhe der Zeit, wenn nicht sogar ihr weit voraus ...